Der schwarze Hund als Todesbote

Streng ist dieser Winter um die Jahrhundertwende hier herinnen im Bayerischen Wald und der Januar fegt eisig über die verlassene Einöde am Fuße des Rachels. Im schneeverwehten Kellnerhaus schnürt sich der älteste Sohn den Rucksack, während ihn die Mutter noch ermahnt, ja alles richtig zu besorgen. „Und vergiss auf den Schnupftabak nicht!“, erinnert der alte Kellner von der Ofenbank. „I, ja, i werd scho an alles denkn“, versichert der Sepp, wirft den Rucksack über, langt zum Wegstock und verlässt das kleine Haus.

Rüstig stapft er durch dichtes Flockengewirr auf dem schmalen Pfad dahin. Seit es mit der Glasmalerei vorbei ist und der 33-jährige mit Holzdrahthobeln und Waldarbeit sein Brot verdienen muss, ist ihm der Gang hinunter zur Flanitzhütte besonders lieb. Drinnen im Gehölz, wo nur mehr das Heulen des Windes aus den Baumwipfeln dringt, vernimmt er hinter sich plötzlich ein stoßhaftes Keuchen. Er dreht sich um und gewahrt einen großen, schwarzen Hund. Der gehört wohl in das Dorf, denkt er und zieht unbeirrt seines Weges. Das schwarze Tier zottelt friedlich hinterdrein.

Nach einer guten Stunde trifft das seltsame Gespann im kleinen Walddörfchen ein. „Jetzt wirst wohl zu deinem Herrn finden“, wendet sich der Sepp um, doch der Hund macht nicht die geringsten Anstalten, ihn zu verlassen. Der Kellner Sepp kümmert sich nicht weiter darum, erledigt seine Geschäfte und betritt alsbald die geräumige Gaststube des Dorfwirtshauses. „Habts enk an neuen Hund zuaglegt“, schallt es ihm entgegen. „Ja, des Viech is iatz alleweil no da“, murmelt der Eintretende verwundert, als ihm auch hier der schwarze Hund nachdrängt. Kopfschüttelnd nimmt er sich einen Stuhl am Tisch seiner Freunde. Bei einer guten Brotzeit und einer frischen Maß Bier entwickelt sich bald das schönste Gespräch. Und gar bald werden auch die Spielkarten herbeigeholt. Die Zeit verrinnt nun schnell. Und spät, sehr spät ist es schon, als der Kellner Sepp endlich aufbricht. Kaum hat er das Wirtshaus verlassen, schnüffelt der schwarze Hund dahinter und weicht ihm nicht mehr von der Ferse.

„Ja Herrschaftszeiten! Willst net verschwindn!“, poltert der Sepp und fuchtelt wild mit seinem Stock auf das Tier. Doch den ganzen Heimweg bis hin zum Kellnerhäusl wird er den anhänglichen Begleiter nicht los.

„Nichts wie in s Haus hinein!“, denkt der Sepp, schlüpft durch die Tür, packt den Rucksack in die Stube und klimmt die steile Stiege zu seiner Schlafkammer hinan. Da erhebt sich vor dem Haus ein Bellen und Gewinsel, dass alles vom Schlafe erwacht. Der alte Kellner glaubt, der eigene Hund wäre draußen und schlürft zur Tür, um zu öffnen. Mit einem Satz dringt da der schwarze Hund ein und stürzt hinauf zur Schlafkammer zum Sepp. Entgeistert starrt der alte Kellner ihm nach, jedoch das Tier lässt sich nicht mehr aus dem Haus bringen.

Am anderen Morgen verlässt der Sepp das Haus, um in den Wald zum Holzziehen zu gehen. Den Hund sperrt er in die Kammer. Wie er mit seinen Kameraden mit dem schweren Schlitten den Ochsenkopf hinanzieht, erzählt er sein nächtliches Erlebnis. „Da wird ja der schwarze Hund bald nachkemma!“, lachen die anderen, doch der Sepp ist heute gar nicht zum Scherzen aufgelegt. Bei den großen Holzstößen angelangt, beginnen die kräftigen Männer gleich mit dem Beladen ihrer Schlitten. Keine fünf Minuten sind vergangen, steht erhitzt und schnaubend der schwarze Hund unter ihnen. Die Holzarbeiter blicken sich gegenseitig mit großem Staunen an. Der Kellner Sepp wird unruhig und macht seinen kaum zur Hälfte beladenen Schlitten zur Abfahrt bereit.

„Aber du wirst doch noch was auflegen?“, meinen die rauen Holzarbeiter, stets an hochbeladene Schlitten gewöhnt. „Mir langt`s für heut!“, antwortet der Kellner Sepp und schon schießt er die vereiste Bahn hinab. Ihm nach setzt mit großen Sprüngen der schwarze Hund. Kopfschüttelnd starren die Männer hinterdrein. Da sehen sie mit großem Schrecken, wie es in der ersten Kurve den Schlitten aus der Bahn trägt. Sofort eilen sie hinab. Sie finden ihren Kameraden an eine Jungtanne gedrückt – tot.

Der schwarze Hund aber ist wie vom Erdboden verschwunden.

(Diese Geschichte hat mir Alfons Hannes, bereits verstorbener Bürgermeister von Frauenau im Jahre 1986 mitgeteilt. Fast in ähnlichem Wortlaut hat sie mir auch Alfons Eisch aus Frauenau erzählt. )